„Ich muss einfach arbeiten. Und bei der Arbeit lerne ich am schnellsten Deutsch“, sagt Ganna Gorban. Die 54-Jährige gehört seit Dezember 2024 zum Housekeeping-Team des Jugendwohn- und Gästehauses München-Süd, nachdem sie dort zuvor schon ein halbes Jahr als Volonteer tätig war. Außerdem ist sie zehn Stunden pro Woche in der sozialen Betreuung der Bewohner*innen tätig. Sie strahlt viel an Empathie aus, lächelt, geht freundlich auf die Menschen zu. Dabei ist das, was sie in den letzten Jahren erlebt hat, schwer verdauliche Kost.
Ganna Gorban ist eigentlich keine Hauswirtschafterin, sondern Kinderärztin. Sie hat in Kiew zuletzt nicht nur eine Kinderklinik geleitet, sondern auch an medizinischen Fachbüchern mitgeschrieben. Dass sie aus diesem Leben geflüchtet ist, hat mit ihrem Wohnort zu tun, denn Ganna Gorban stammt aus Butscha, einem Vorort von Kiew, dessen Namen die meisten auch hier zu Lande wegen der katastrophalen Ereignisse dort schon gehört haben dürften.
Dieser Ort wurde gleich zu Beginn des Überfalls der russischen Armee auf das Land nahezu völlig zerstört. Mehrere hundert Zivilisten wurden dabei getötet. „Ich habe damals sofort meine an Parkinson erkrankte Mutter und deren über 90 Jahre alte Cousine, die schwer an Krebs litt, ins Auto gesetzt und bin nach Westen in Richtung Polen gefahren. Dabei hatte ich auch die zwei Rollstühle der beiden alten Damen dabei, Medikamente und Hilfsmittel für sie sowie unsere Papiere“, berichtet Ganna Gorban.
Bis nach Polen brauchte sie drei Tage, denn auf den Straßen herrschte angesichts der Menge flüchtender Autos Stau. An einer Stelle durchbrachen weißrussische Panzer, die damals auch am Überfall auf die Ukraine beteiligt waren, die gestauten Autos. „Ich bin mit Mutter und Tante noch durchgekommen, aber das Auto hinter uns – ein Kleinbus – wurde einfach plattgefahren, obwohl darin auch Zivilisten saßen. Das hat niemand überlebt“, erinnert sie sich an diese unmenschliche Aktion.
Sehr gut Deutsch lernen und weiterarbeiten
In Polen angekommen engagiert sich Ganna Gorban gleich wieder als Krankenhausärztin. Sie findet eine Bleibe für sich und ihre Mutter. Sie kann sich um ihre Tante kümmern, die in einer Klinik ein gutes Lebensende finden darf, dank Schmerzmittel und der regelmäßigen Besuche ihrer Nichte. Doch für ihre Mutter hat sie gefühlt zu wenig Zeit, was ihr zu schaffen macht. Nach einem Jahr stirbt auch ihre Mutter.
Diese Zeit fordert ihren Tribut und Ganna Gorban ist völlig ausgelaugt. Deshalb zieht sie nach München weiter, denn im polnischen Krankenhaus hat sie so gut wie nie frei. „München war immer mein Sehnsuchtsplatz“, lächelt sie. Das erste halbe Jahr hier verbringt sie vor allem „mit Schlafen und Essen“, wie sie sagt, um sich nach den langen Strapazen durch Flucht, Arztberuf und Pflege zu erholen. Seither lernt sie Deutsch und arbeitet in anderen Bereichen, um hier noch schneller im Alltag anzukommen. Der Antrag auf Anerkennung ihrer ärztlichen Approbation in Deutschland läuft. Sobald sie die Sprachprüfungen im C-Bereich erfolgreich absolviert hat, darf sie hier voraussichtlich wieder als Kinderärztin arbeiten.
„Als Kollegen von mir gehört haben, dass ich in einen Jugendwohn- und Gästehaus zunächst freiwillig arbeite, haben sie mich für verrückt erklärt. Auch, dass ich nun im Housekeeping und in der sozialen Begleitung arbeite, können sie nicht verstehen. Aber mir ist es wichtig, Kontakte zu den Menschen zu haben und dabei auch die Sprache im Alltag einzusetzen. Ich schaue auch deutsche Sender, wenn ich abends einmal fernsehe, denn ich will mich hier schnell integrieren“, erklärt Ganna Gorban. Beim Katholischen Jugendsozialwerk München fühlt sie sich gut aufgenommen. „Es ist mir sympathisch, dass ich bei einem christlichen Träger sozialer Arbeit untergekommen bin, denn ich bin selbst ein gläubiger Mensch. Wer glauben kann, darf Hoffnung haben“, so Ganna Gorban. (GR)
Bildunterschrift:
Hat hier in Deutschland wieder viel vor: Die Kinderärztin Ganna Gorban. Foto: Riffert/KJSW